Meditationsanleitung für Anfänger:
Der Klang und die Stille
Der Einstieg über den Klang mag die abstrakteste Art sein, sich dem Thema Meditation anzunähern. Die Gefühle und der Körper sind für uns vertrauter und irgendwie auch „greifbarer“. Trotzdem ist der Weg über den Klang selbst für Anfänger vergleichsweise leicht. Für mich selbst eröffnet die Meditation in den Klang die größte Tiefe der inneren Klarheit und äußeren Bewusstheit.
Was bedeutet „Klang“ in Zusammenhang mit Meditation?
Beim Wort „Klang“ denken wir oft zunächst an harmonische Geräusche. An die Töne eines Klaviers etwa oder einer Klangschale, oder an ein ganzes Musikstück. Aber was ist mit dem Rasenmäher oder dem Hupen eines Autos? Ist das Rauschen des Windes im Wald auch Klang? Hat auch ein Frühlingsmorgen einen Klang? Und wie ist es mit dem Klang der Liebe? Oder der Sehnsucht?
Das geflügelte Wort „Die Welt ist Klang“ kann ich aus ganzem Herzen bejahen. Auch ich spüre und weiß: Alles schwingt, alles ist in Bewegung und regt Anderes zum mit- und gegenschwingen an, alles klingt, alles ist Klang. Und so wie es oft das erklärte Ziel von Meditation ist, mit sich selbst in ein-Klang zu sein, führt uns der Weg doch zugleich auch dahin, mit allem in diesem ein-Klang zu sein. Genau dann sind wir mit dem Leben wahrhaftig verbunden.
Die (vielleicht nicht so sehr aufregende) Physik des Klangs
Letztlich ist alles, was wir hören, Klang. Und noch weit mehr als das. Klang umfasst nicht nur alle Geräusche, die wir mit den Ohren wahrnehmen können. Spirituell betrachtet ist die ganze Welt Klang. Wir bezeichnen für gewöhnlich nur denjenigen Teil des elektromagnetischen Spektrums als Licht, den wir mit den Augen sehen können. Und doch ist die Welt des Lichts weitaus größer und setzt sich im ultravioletten- und Infrarot-Bereich fort. Auch der Klang geht weit über das hinaus, was unsere Ohren wahrnehmen können. Alle Materie ist in Schwingung und somit in Klang. Einige dieser Schwingungen können wir, wenn sie in einem bestimmten Frequenzbereich liegen, durch die Schwingungen der Luft in unseren Ohren wahrnehmen.
Die (oft weitaus aufregendere) Spiritualität des Klangs
Angenommen, es stimmt, dass die Welt – die Schöpfung – Klang ist. Und angenommen, der Wunsch nach Harmonie und ein-Klang ist im Wesen des Menschen tief verwurzelt. Wie ist es dann, miteinander zu schwingen? Wie ist es dann, wenn uns eine Schwingung aus dem Außen innerlich disharmonisch werden lässt? Wie können die Töne und Klänge all meiner Seinsebenen zu einem harmonischen Zusammenspiel gebracht werden? Wie kann ich die Musik meines Lebens selbst mitgestalten?
Wenn die Welt wirklich Klang ist, und alles ständig schwingt und klingt, warum wird die Welt dann nicht immer lauter? Oder wird sie es doch? Auch ich selbst bin auf dem Weg, mir die Antwort auf diese Fragen zu er-leben. Jetzt und hier weiß ich: der Klang ist ein Kind des Lebens. Seine Mutter ist die Stille. Oder: der Klang steht für den männlichen, äußerlich aktiven Aspekt des Lebens. Die Stille ist der innere, ruhende, weibliche Aspekt derselben Sache, für die wir nicht einmal ein Wort haben. Es ist eben das, was Klang und Stille umfasst, so wie „Temperatur“ warm und kalt umfasst, wie “Geschlecht“ Mann und Frau umfasst.
Die Meditation in den Klang ist zugleich auch die Meditation in die Stille. Die Stille ist, für sich genommen, wie auch der Raum und die Zeit, von unendlicher Tiefe und nicht wirklich erfahrbar. Sie alle sind für Menschen nicht absolut wahrnehmbar, so lange, bis sie durchbrochen werden. Die Zeit durch die wiederholte Wahrnehmung des jeweiligen „Jetzt“, der Raum durch Objekte und die Stille durch Klang. Klang kann nur deshalb sein, weil auch Stille ist. Und andersherum. Im Klang ist alle Stille, in der Stille ist aller Klang.
Herausforderungen bei der Meditation in den Klang und die Stille
Besonders in der westlichen Welt leben wir heute eine Abwehr gegen die Erfahrung der Stille und somit auch eine Abwehr gegen die Erfahrung des wirklichen Klangs. Es gibt kaum Zeiten, in denen wir uns körperlich und geistig erlauben, die wirkliche Tiefe von Stille oder die wirkliche Tiefe von Klang zu erfahren. Wir sind derart geübt darin, den Klang vieler Ebenen gleichzeitig zu hören, dass wir kaum noch Zugang zu Stille oder dem klaren Klang haben. Wir sitzen nach einer Besprechung mit dem Gefühl von Ärger im Auto, fahren nach hause und hören während dessen Musik, während wir das Abendessen planen. Dies ist nicht einmal eine besonders ungewöhnliche Situation mit besonders vielfältigen Inhalten. Wir erleben die meiste Zeit des Wachbewusstseins unzählige Klänge auf vielen Ebenen, von denen wir keinen einzigen klar wahrnehmen können. Geschweige denn die hinter allem liegende, unendliche Stille.
Das besondere Geschenk der Meditation in den Klang und die Stille
Es gibt für jeden, der sich auf diesen Weg begibt, einen Moment, in dem er der Klarheit eines einzigen Klangs oder der Stille zum ersten Mal innerlich begegnet. Und ich glaube, ist dieser Kontakt erst einmal hergestellt, geht er nicht wieder verloren. Die Erfahrung der Stille hinter allem und eines einzelnen Klangs des Lebens reicht so tief und verbindet uns derart intensiv mit einer inneren Wahrheit, dass uns diese Fähigkeit nun nicht mehr verlorengeht.
Für mich selbst ist die Erfahrung der Stille hinter den Klängen eine der intensivsten meines Lebens und sie lässt sich immer wieder wiederholen. Sie ist Zufluchtsort vor den Disharmonien des Alltags und gehört zu den beeindruckend Arten der inneren Reinigung, die mir bekannt sind. Die Erfahrung des Klangs und der Stille verbinden mich mit allem spirituellen Aspekten meines jetzt-und-hier-Seins. Und vielen anderen Menschen geht es ebenso.
Das Finden des Klangs und der Stille in der Meditation
Das, was wir als Klang kennen, findet in uns selbst statt. Wenn wir etwas hören, ist es nicht der Klang selbst, der eine Wirkung hat. Das, was wir mit diesem Klang verbinden, wirkt auf uns selbst. Klang ist immer ein Ausdruck des Lebens, der Bewegung, aber seine Bedeutung für uns ist nicht objektiv. Deshalb ist ein Zugang zu Meditation in den Klang derjenige, die Wirkung von Klang in uns zu beobachten. Und einer der leichtesten Wege dorthin ist derjenige, den (Nach-)Klang selbst zu erschaffen. Zum Beispiel durch die Erinnerung an etwas. So bald ich mich an etwas erinnere, kann ich wahrnehmen, welchem Klang es in mir hat. Was in Verbindung damit in mir anklingt. Wenn ich dann dem Klang erlaube, sich wieder aufzulösen, so hat er keine andere Möglichkeit, als zurück in die Stille zu gehen. Der Klang macht in unserer Wahrnehmung den Raum schließlich wieder frei, in dem dann die Stille wahrnehmbar ist. Eine andere Erinnerung erzeugt einen anderen Klang, der sich ebenfalls schließlich wieder in die Stille ergießt, sich in ihr auflöst.
Ein Bild für Klang und Stille in der Meditation
Dass wir im besten Falle von guter, atembarer Luft umgeben sind, ist für uns so normal, dass wir es für gewöhnlich gar nicht bemerken. Bewusst und deutlich wird es uns zum Beispiel dann, wenn wir einen unangenehmen Geruch wahrnehmen. Dann bemerken wir, dass wir Luft atmen. Auch ein besonderer Wohlgeruch, etwa der von Vanille, lässt uns dafür aufmerksam werden. Die Luft ist also die ganze Zeit da, wir nehmen sie allerdings meist nur indirekt wahr.
Genau so ist es mit der Stille und dem Klang. Die Stille ist allgegenwärtig, ewig und unendlich tief. Viel mehr als die Luft. Der Klang tritt aus der Stille hervor und liegt auf ihr, wie ein Geruch aus der sonst geruchslosen Luft hervortritt und in ihr liegt. So, wie der Geruch vergeht, vergeht auch der Klang.
Meditation beginnt zum Beispiel dort, wo wir das Wechselspiel zwischen Klang und Stille bewusst beobachten. Dort, wo wir wahrnehmen, dass die Klänge aus der Stille kommen und auch wieder in sie zurück gehen.
Meditationsanleitung für Fortgeschrittene in Klang und Stille
Wir wissen, dass der Klang, den wir hören, eigentlich Materie ist, die mit einer Frequenz schingt, die wir hören können. Sie wird zum Beispiel durch Luft übertragen, viel besser aber beispielsweise in festen Stoffen wie Metall. Und eigentlich gibt es so etwas wie einen Ton gar nicht. Unsere Ohren sind lediglich in der Lage dazu, die Schwingung in das zu übersetzen, was wir Ton nennen.
Wenn Sie in der Meditation das Wechselspiel zwischen Klang und Stille schon gut beobachten können, dann gehen sie den nächsten Schritt!
Lösen Sie sich von der Überzeugung, dass Töne real sind. Beauftragen Sie Ihr Gehirn, sie als Schwingung von Materie wahrzunehmen. Wenn Ihnen dies gelingt, dann ist es möglich, dass sie sich mit der Stille der Welt verbinden können. Mir gibt diese Stille Geborgenheit, Sicherheit, Gelassenheit und die für mich tiefste Verbindung mit dem Dasein. Ich kann in dieser Stille wahrnehmen, dass wir alle verbunden sind. Nicht nur wir Menschen miteinander, sondern alles, was ist.
Gleichgültig, wie unterschiedlich die Töne der Welt sind. Ganz gleichgültig, wie wir sie einordnen und interpretieren. Die Stille ist für uns alle gleich. Wir alle leben in ihr, denn es gibt keinen Ort, an dem sie nicht ist. Sie verbindet uns, wir kommen aus ihr und gehen in sie zurück.
Meditationsanleitung für Anfänger in den Klang und die Stille – ein Fazit
In das Wechselspiel von Klang und Stille zu meditieren kann offenbar machen, wie kurzlebig und weltlich aller Klang, jeder Ton ist. Zugleichkann es aufzeigen, die unendlich und ewig die Stille ist. Klänge und Töne bewusst wahrzunehmen, fällt vielen Anfängern in der Meditation ausreichend leicht. Und besonders hier ist für mein empfinden ein besonders großes Potenzial für Meditation zu finden, erzeugen wir schließlich ständig Töne und Geräusche. Für gewöhnlich verwenden wir sie dafür, um auf der weltlichen Ebene Botschaften zusenden, Signale zu erzeugen oder einfach zu kommunizieren. Vielleicht sind Töne und Klänge für uns die alltäglich Ablenkung von der Tiefe des Lebens und der inneren Wahrheit. Auch Gedanken sind solche Töne.
Speziell auf diesem Weg der Meditation können Anfänger einen leichten Einstieg finden und den Gehalt und die Tiefe der Meditation immens schnell ausbauen.
Ich wünsche Ihnen auf diesem Weg der Meditation und auf allen anderen Wegen ihres Lebens von Herzen alles Gute.
Erik Eckstein